Emotionale Egozentrik: Wenn du tatsächlich glaubst mehr mitzufühlen, als ein Narzisst

Emotionale Egozentrik: Wenn du tatsächlich glaubst mehr mitzufühlen, als ein Narzisst

Die Floskel „Ich Ich Ich“, auch als Emotionale Egozentrik oder Selbstbezogenheit bekannt, wird immer mit stark narzisstischen und egoistischen Menschen in Zusammenhang gebracht. Ihnen wird nachgesagt, nur an sich selbst zu denken, während sie wenig bis keine Empathie zeigen. Die Partner von diesen Menschen dagegen nehmen sich als sehr hilfsbereit, fürsorglich und überempathisch wahr, die bloß versuchen dem armen Kerl zu helfen. Was an diesen beiden Positionen dran ist und wer jetzt mehr fühlt oder empathischer ist, das soll dir dieser Artikel erklären.

Emotionale Egonzentrik
Emotionale Egozentrik und jeder denkt er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen

Du böser Narzisst, ich armer Empath

Es ist immer die gleiche Leier. Ich bin das Opfer, weil der böse Narzisst mich nicht versteht. Er hört mir nicht zu. Er redet nicht mit mir. Er ist mal wieder sooo gekränkt. Und er manipuliert mich ohne Ende, bis aufs Blut, denn immer soll ich mich entschuldigen. Dabei bin ich ja so empathisch und hochsensibel und tue doch alles für ihn.

Naa… findest du dich wieder? Hast du auch oft das Gefühl, du könntest deinen Partner besser verstehen, als er dich? Und glaubst du auch, dass du mehr für eure Beziehung tust, als er?

Falls du das bejahen kannst, dann kann ich dir glasklar bescheinigen, dass dies absolut kein Wunder ist. Das Internet ist ja voll davon. Überall steht geschrieben, woran man einen Narzissten erkennt. Ganz eklatant fällt dabei ins Auge, dass ein Narzisst scheinbar null empathisch ist und sich nur für sich selber interessiert. Das was er tut, jedoch, beziehst du ja trotzdem auf dich. Da frag ich dich mal, wieso eigentlich? Bist du noch empathisch, wenn du plötzlich von dir redest und dich rechtfertigst?

Wie toxische Beziehungen entstehen und was dein Anteil daran ist

Toxische Menschen fühlen sich schnell angegriffen, reagieren generell übertrieben emotional und beziehen alles auf sich. Ihr Ego, ihre Verletztheit steht im Vordergrund, dem anderen wird gerne Absicht unterstellt. Emotionale Egozentrik eben. Erkennst du dich wieder?

Du denkst der andere hat dich gemeint, dabei bist du bloß getriggert. D.h. der andere hat mit seinem Verhalten etwas bei dir ausgelöst.

Der andere kann dabei auch toxisch agiert haben, durchaus. Nur entscheidest du ja höchstpersönlich, wie du darauf reagierst. Zumindest will man das meinen, wenn man nicht weiß, dass in einem ein kleines verletztes Kind regiert, was überemotional auf etwas im Außen reagiert.

Emotionale Egozentrik ist also toxisch?

Stimmt da war ja was. Es nennt sich emotionale Egozentrik. Also gefühlvolle Ich- Bezogenheit, frei übersetzt. Gefühlvoll nicht im Sinne von liebevoll, sondern eher im Sinne von „Ich hab die Nase voll“, also ich bin vollkommen beschäftigt mit meinen eigenen Gefühlen und daher auch zu beschäftigt mich in den anderen hinein zu versetzen.

Also extrem egozentrisch, bzw. egozentriert, das heißt total selbstbezogen und mit einem eklatanten Empathiemangel ausgestattet.

Achso. Und jetzt mal Klartext!

Als Emotionale Egozentrik (oder auch egozentriert bzw. selbstbezogen) bezeichnet man die Unfähigkeit, den eigenen Standpunkt (bzw. die eigene Sichtweise) von dem eines anderen Menschen zu unterscheiden. Der Mensch, oder auch „Das Ich“ wird dabei als Zentrum bzw. Nabel der Welt betrachtet. Das führt dazu, dass sämtliche Ereignisse vom eigenen Standpunkt her bewertet werden.

Kurz gesagt: Egozentrische Menschen projizieren eigene Vorstellungen, Erwartungen, Ängste und Wünsche in die eigene Umwelt und dementsprechend auch auf Personen.

Typische Merkmale für Emotionale Egozentrik

  1. Empathiemangel: Eine egozentrische Person zeigt oft wenig Interesse oder Verständnis für die Gefühle und andere Bedürfnisse Menschen. Sie sind in erster Linie darauf ausgerichtet, ihre eigenen Emotionen und Gedanken zu kommunizieren und zu betonen, ohne sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen.
  2. Dominanz in Gesprächen: Egozentrische Personen neigen dazu, Gespräche auf sich selbst zu lenken und ihre eigenen Erfahrungen und Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen. Sie könnten immer wieder ihre eigenen Geschichten erzählen, ohne auf das zu hören, was andere sagen.
  3. Geringe soziale Sensibilität: Diese Menschen erkennen möglicherweise nicht, wie ihre Handlungen und Worte andere verletzen oder verärgern könnten, da sie so stark mit ihren eigenen Emotionen beschäftigt sind.
  4. Mangel an Unterstützung für andere: Egozentrische Menschen könnten Schwierigkeiten haben, anderen in emotional herausfordernden Zeiten Unterstützung oder Trost zu bieten, da sie in erster Linie mit ihren eigenen Gefühlen beschäftigt sind.
  5. Selbstbezogenheit: Emotionale Egozentriker neigen dazu, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und suchen oft nach Bestätigung, Aufmerksamkeit und Anerkennung von anderen.

Echte Empathie vs. Notfallempathie

Bis zu einem gewissen Grad ist jeder Mensch empathisch. Es fällt uns immer leichter, etwas nachzufühlen, was wir selber erlebt haben oder zumindest ähnlich. Sobald wir aber in einem belasteten Zustand sind, nimmt diese Fähigkeit ab. Das heißt, wenn man zuviel fühlt, also sehr emotional ist, fällt der Perspektivwechsel umso schwerer.

Schließlich ist das eigene Weltbild immer sehr subjektiv. Ergo fallen auch die Bewertungen unterschiedlich aus. Für den einen ist Meerwasser blau, weil wenn man malt, malt man es immer blau, während der nächste weiß, dass Wasser durchsichtig ist und die bläuliche Färbung durch die Reflektion des Himmels entsteht. Wer das liest und schmunzelt, denkt jetzt vielleicht, dass das ziemllich klar ist, jedoch für Kinder, ist es das häufig nicht.

Ist das Wasser jetzt blau oder durchsichtig?

Kinder sind tatsächlich egozentrischer als Erwachsene

Das haben nämlich Forscher vom Leipziger Max- Planck Institut für Neurowissenschaften in einer Studie bereits im Jahre 2014 herausgefunden. Kinder weisen einen hohen Grad an Emotionaler Egozentrik auf. Es fällt ihnen schwerer als Erwachsene sich in den Standpunkt eines anderen hinein zu versetzen. Zum Beispiel kann ein Kind, was zum ersten Mal gewinnt, vermutlich nicht nachvollziehen, wie sich jemand fühlt, der zum gleichen Zeitpunkt verliert.

Den Forschern zufolge muss bei einem Kind, zunächst der Supramarginale Gyrus der rechten Gehirnhälfte genügend entwickelt sein, damit es egozentrisches Verhalten ablegen kann.

Starke Emotionen vermindern die Empathie

Das Forscherteam um Professorin Tania Singer vom Institut für Neurowissenschaften Berlin hat zudem herausgefunden, dass unsere eigene Gefühlswelt unsere Empathiefähigkeit maßgeblich verzerrt. Wir glauben demnach etwas zu fühlen, was ein anderer gar nicht fühlt, oder etwas komplett gegensätztliches zu fühlen, als unser Gegenüber. Gleichzeitig beharren wir auf die Richtigkeit unserer Wahrnehmung, während wir die Wahrnehmung des anderen häufig gar nicht nachvollziehen können.

Wenn der eben angesprochene rechte Supramarginale Gyrus nicht richtig arbeitet, weil er überbelastet ist oder wenn wir uns besonders schnell entscheiden müssen, dann ist unsere Empathie für andere erheblich eingeschränkt. Belastet ist man meistens, wenn man starke Emotionen fühlt.

Stress bewirkt auf kurz oder lang emotionale Egozentrik

Für das vegetative Nervensystem bedeuten starke Emotionen nämlich Stress. Der Supramarginale Gyrus liegt nahe der Amygdala, dem Emotionszentrum des menschlichen Hirns und damit neben dem zentralen Nervensystem. Die Amygdala entscheidet darüber, ob wir flüchten oder kämpfen oder uns eben unterwerfen bzw. anpassen.

Einmal kurz nachgefragt: Wenn du vor einer wildgewordenen Elefantenherde flüchtest, kannst du dann nachempfinden, was der vorderste Elefant fühlt oder hast du einfach nur Angst?

Emotionale Egozentrik und Trauma

Wie bereits erwähnt, neigen wir Menschen dazu unseren eigenen Gemütszustand auf andere zu projizieren. Insbesonders jemand, der sich selbst als hochsensibel oder feinfühlig bezeichnen würde, glaubt oft wahrnehmen zu können, was andere fühlen. Dass er aber eigentlich nur sich selber spürt, und dass sein Gefühl, nichts mit dem anderen zu tun hat, das würde er sich niemals eingestehen.

Jemand, der sich als hochsensibel betrachtet, glaubt auch ganz oft, beliebte Beute eines Narzissten zu sein. Die bekannte Traumatherapeutin Dami Charf dagegen hält Hochsensibilität für eine Traumafolgestörung, genauso wie ADHS.

Bei Hochsensiblen und ADHS´ler ist es seit eh und je bekannt, dass es Ihnen schwer fällt sich abzugrenzen. Sie fühlen also nicht das, was andere fühlen. Sondern sie fühlen sich selbst und behaupten, das wäre der andere. Was ja den Begriff der Projektion erklärt. ADHS´ler und Hochsensible werden von Reizen massiv überflutet. Zudem sind ADHS´ler auch noch sehr impulsiv und lassen sich kaum Zeit Entscheidungen abzuwägen, bevor sie diese fällen.

Empathie ist also kein Gefühl sondern eine Fähigkeit

Empathie ist die Fähigkeit sich in jemanden hinein zu versetzen und die Bereitschaft sich auf die Gefühlswelt des anderen einzulassen

Für jemanden, der nicht gelernt hat zwischen den eigenen Gefühlen und denen anderer zu unterscheiden, erscheint es ein Zwang, die Gefühle des anderen zu übernehmen. Dabei fühlen sie nicht, was der andere fühlt, sondern was sie selber fühlen und projizieren es auf den anderen.

Empathie
Empathie heißt, gut nachempfinden zu können was der andere fühlt

Dieses Phänomen schreibt man im übrigen der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu. Also emotionale Egozentrik, also auch die Unfähigkeit zu unterscheiden oder sich abzugrenzen.

Insbesondere Kinder von Co- Abhängigen Eltern neigen dazu sich anzupassen, d.h. sie sagen nicht mehr was sie denken und versuchen es dem anderen recht zu machen. Sie unterscheiden nicht. Notfallempathie schlägt damit echte Empathie.

Empathisch sein und narzisstisch sein schließt sich folglich nicht aus

Im Grunde sind wir alle immer ein bisschen beides. Und das ist völlig normal und lässt sich aufgrund der aktuellen Lage auch ganz gut erklären. Narzissten sind im Übrigen nicht nur schlechte Menschen, genauso wenig wie „Empathen“ nicht bloß gute Menschen sind. Und auch in der spirtuellen Szene tummeln sich super viele Egos.

Was uns aber alle eint: Wir sind Menschen und jeder Mensch ist liebenswert und etwas ganz Besonderes. Jeder halt auf seine Art.

Und jetzt mal ein Spruch für dich, den ich vor langer Zeit gelernt habe, als ich meine Traumata verarbeitet habe: Du bist liebenswert, weil du liebenswert bist. Weil du ein Mensch bist.

© Daniel Brodersen

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