Hochsensibilität wird als Superkraft gehyped. Hochsensible bezeichnen sich oft als Megaempathen und glauben, sie wären besondere Menschen, frei von narzisstischen Zügen. Und ich gebe zu, auch ich bin wohl hoch bzw. hypersensibel und dachte eine Weile so. Zumindest haben das sämtliche Tests im Internet ergeben, die ich gemacht habe. Und auch eine Kinderärztin meinte mal, dass ich ziemlich feinsinnige Antennen hätte. Und gerade weil man feinfühlig ist, so sagen es viele hochsensible Menschen, sei man ein beliebtes Opfer für Narzissten. Was genau an dieser Behauptung dran ist, was die Wissenschaft zum Phänomen Hochsensibilität sagt und wie meine persönlichen Erfahrungen mit dieser Thematik sind, darüber möchte ich in diesem Blogbeitrag ein bisschen eingehen.
Was ist Hochsensibilität genau?
Dieses oft missverstandene Konzept betrifft Millionen von Menschen weltweit. Hochsensibilität ist eine Art, wie Menschen funktionieren. Man sagt dazu auch hypersensibel, hochsensitiv oder hochempfindsam, bzw. hochempfindlich. Es handelt sich um eine besondere Form der Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen. Hochsensible Menschen nehmen ihre Umgebung intensiver wahr und reagieren oft empfindlicher auf äußere Reize und emotionale Signale. Auffallend dabei ist ein oft sehr niedriges Selbstwertgefühl.
Die Wissenschaft jedoch ist sich uneinig, was es mit diesem Begriff auf sich hat. Ist Hochsensibilität die Folge von Trauma? Zählt es zur Neurodiversität? Oder ist es nur ein Persönlichkeitsmerkmal, mit besonderer Empfindlichkeit gegenüber Stress? Und sind hochsensible Menschen wirklich empathischer als andere und daher ein beliebtes Opfer von Narzissten, wie so manch populärwissenschaftlicher Autor behauptet? Gehen wir der Sache doch mal auf den Grund.
Das Konzept der Hochsensibilität
Das Konzept der Hochsensibilität wurde maßgeblich von Dr. Elaine N. Aron, einer US-amerikanischen Psychologin, erforscht und populär gemacht. Dr. Aron begann in den 1990er Jahren, Hochsensibilität als eigenständiges Persönlichkeitsmerkmal zu erforschen und veröffentlichte in der Folge mehrere Bücher zu diesem Thema. Ihr bekanntestes Buch, „The Highly Sensitive Person“ (deutsch: „Sind Sie hochsensibel?“), das 1996 veröffentlicht wurde, trug wesentlich zur Verbreitung des Konzepts bei.
Den Stein ins Rollen brachte nach ihren eigenen Angaben nach das Jahr 1987, denn da wurde sie operiert. Dieser Eingriff wühlte sie emotional extremst auf. Die Ärzte fanden dafür keine konkrete Erklärung und bezeichneten Elaine deswegen als hochsensibel. Ein Schelm, der dabei an die Hysterie der Frau denkt.
Zusammen mit ihrem Ehemann Artur Aron ebenfalls Psychologe, beschrieb sie zehn Jahre später das Konzept der Hochsensibilität. Die Ausdrucksformen der Hochsensibilität und Konsequenzen für die Betroffenen machte sie zu ihrem Forschungsschwerpunkt.
Laut Elaine ist Hochsensibilität keine Krankheit, sondern eine angeborene/genetisch vererbte Eigenschaft. Allerdings schließt sie nicht aus, dass ein Teil der hochsensiblen Menschen die Hochsensibilität im Laufe ihres Lebens durch Traumata oder Dauerstress erworben hat. Ihre Sichtweise fand seither viele Nachahmer. Es gibt in Deutschland sogar das Netzwerk Hochsensibilität, was sich auf Elaine Arons Forschungen beruht.
Ausdrucksformen und Anzeichen für Hochsensibilität (laut Elaine Aron)
- Empfindlichkeit Gegenüber äußeren Reizen: Hochsensible Menschen reagieren intensiver auf Sinnesreize wie Licht, Geräusche, Gerüche, Geschmack und Berührung. Sie können sich von lauten Geräuschen gestresst fühlen, auf subtile Düfte reagieren oder starke Neigungen und Abneigungen in Bezug auf Geschmack und Textur von Lebensmitteln haben.
- Tiefe emotionale Empfindungen: Hochsensible Menschen erleben Emotionen intensiver und haben oft eine ausgeprägte Empathie für die Gefühle anderer. Sie können leicht von emotionalen Reizen in ihrer Umgebung beeinflusst werden und Freude, Traurigkeit, Angst und Wut auf tiefere Weise empfinden.
- Empfindlichkeit gegenüber zwischenmenschlichen Beziehungen: Hochsensible Menschen haben oft tiefe und bedeutungsvolle zwischenmenschliche Beziehungen. Sie können jedoch auch anfälliger für Stress in Konfliktsituationen sein und stark auf die Stimmungen und Emotionen anderer Menschen reagieren. Mitunter fällt es Ihnen schwer sich emotional abzugrenzen, teilweise übernehmen sie sogar die Gefühle ihres Gegenübers und machen die Themen ihrer Partner zu ihren. Dies kann leider oft zu tragischen Missverständnissen führen.
- Tiefe Reflexion und Analyse: Hochsensible Menschen denken häufig tief über ihre Gedanken und Gefühle nach. Sie neigen dazu, introspektiv zu sein und suchen nach Bedeutung und Verständnis in ihren Erfahrungen. Ein bisschen neigen Hochsensible auch zur Selbstbezogenheit, d.h. sie beziehen vieles auf sich und fragen sich, was es mit Ihnen zu tun hat. Manch Selbstanalyse wird da schnell zur Qual.
- Kreativität und künstlerisches Talent: Viele Hochsensible sind kreativ und haben ein starkes künstlerisches Talent. Sie können sich in den Bereichen Kunst, Musik, Literatur und anderen kreativen Ausdrucksformen auszeichnen.
- Hohe gegenüber Empfindlichkeit Stress: Aufgrund ihrer erhöhten Empfindlichkeit können Hochsensible schneller von Stress überwältigt werden. Sie benötigen oft mehr Zeit für die Erholung und Entspannung. Ihr Zentrales Nervensystem ist häufig dauer erregt.
- Gewissenhaftigkeit und Detailorientierung: Hochsensible Menschen neigen dazu, äußerst gewissenhaft und detailorientiert zu sein. Sie bemerken oft feine Nuancen und Details, die anderen entgehen.
- Überwältigung in überstimulierenden Umgebungen: Hochsensible Menschen können sich in lauten, hektischen oder überstimulierenden Umgebungen schnell überwältigt fühlen. Große Menschenmassen meiden sie. Sie bevorzugen oft ruhige und gut strukturierte Umgebungen.
Der von Aron erstellte Test für Hochsensibilität findest unter anderem auf ihrer Webseite (https://hsperson.com/test/highly-sensitive-test/). Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass ein Test nur eine erste Orientierung bietet und nicht als alleiniges Diagnoseinstrument genutzt werden sollte.
Die Sache mit der Empfindlichkeit und den Filtern
Hochsensible sind bekannt für ihre Reizoffenheit und ihren teilweise ridigen Perfektionismus. Wir können da schon recht sturr sein. Und entsprechend filtern wir auch was den Begriff der Hochsensibilität angeht. Jeder Mensch bedient sich da unterschiedlicher Quellen. Aktuell wird sich eben auf das bezogen, was sich besser anfühlt. Elaine Arons Forschungsergebnisse fühlt sich für die Masse stimmig an. Aber ob das dann auch wahr ist: Man weiß es nicht.
Ein großer Teil der Gesellschaft schwört auf die Forschungen von Elaine Aron, die den Begriff ja auch populär machte, ähnlich wie Stefanie Stahl und das innere Kind. Und ich kann das auch gut verstehen. Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, vielleicht auch eine Akzentuierung. Hochsensibilität ist aber nicht krankhaft. Sie kann aber zu Krankheiten führen. Und sie kann eine Superkraft sein – oder eine Supermacke. Such dir das gerne aus.
Manch ein Hochsensibler ist gern auch hypochondrisch und rennt wegen jedem Wehwehchen zum Onkel Doktor. Ich will mich selbst davon nicht ausnehmen. Vor allem ist man das, wenn man nicht weiß, dass es sich bei dieser Überempfindlichkeit um Hochsensibilität handelt. Für viele hochsensible Menschen ist es eine Befreiung, zu erfahren, dass sie gar nicht krank sind, sondern einfach nur hochsensibel. Hört sich gleich viel besser an.
Die (Hoch-) sensitive (sensible) Persönlichkeit
Alle Fachbegriffe, die dann gelegentlich auch die Allgemeinheit übernimmt, in dem Falle die Ärzte von Elaine, haben natürlich einen etymologischen Hintergrund, so auch der Begriff der Sensitiven bzw. (Hoch-)sensiblen Persönlichkeit. Die Psychiatrie z.B. kannte den Begriff, der feinfühligen, sensiblen, sensitiven Persönlichkeit bereits vor 100 Jahren. Er wurde sogar zum Fachbegriff um interessante Charaktere zu beschreiben.
Und schon weit vorher, gab es Autoren, die diese Eigenschaften in ihren Romanen für sich entdeckten. (z. B. Karl Philipp Moritz (1756-1793) mit Anton Reiser – ein psychologischer Roman). Das ist ein bisschen in Vergessenheit geraten, wie auch der Münsteraner Universitätsprofessor Rainer Tölle 2006 anmerkte. Er war Mitautor des Buches „Die Geschichte der Psychiatrie“
Dabei könnten wir insbesondere in der Wortbedeutung von damals viele Paralellen zur heutigen Zeit erkennen, was sich im Übrigen mit meinen Erfahrungen deckt. Vom Ursprung her ist sensibel gleichzusetzen mit empfindsam, feinfühlig und eventuell auch empfindlich. Überempfindlich bis schnell kränkbar nennt man deshalb ein „Sensibelchen“. Das Wort selber wird abgeleitet aus dem lateinischen sensus, woraus später schließlich das lateinisch-französische Mischwort sensitiv entstand, was soviel heißt wie feinnervig bis überempfindlich, aber auch reizbar, wenn nicht gar „schwierig im Umgang“.
Wer kennt nicht die Floskel „Ich hab Gefühle, du Arschloch!“. Bemerkenswert ist dabei, dass die meisten Arschlöcher von damals, nun als Narzissten betitelt werden, obwohl es soviele andere Begriffe geben würde, die unsensibles oder rücksichtsloses Verhalten genauso gut umschreiben. Z.b. Bauerntrampel. Es sind in der Tat nicht nur Narzissten, die sich teilweise wie die Axt im Wald verhalten. Auch als hochsensibler Mensch agiert man hin und wieder aus einer Kränkung heraus, was einen Umgang mit uns durchaus schwierig macht.
Wesenszüge der (Hoch-) sensitiven Persönlichkeit
Wie schon erwähnt, war Hochsensibilität bereits ein Fachbegriff in der Psychiatrie, mit denen interessante und doch teilweise auch sonderbare Persönlichkeiten beschrieben werden konnten. So beschrieben viele Psychiater sensitive Menschen als sehr intelligente und hochwertige Persönlichkeiten, allerdings auch als kompliziert, übergenau bis selbstquälerisch detailversessen und dadurch voller Selbstzweifel.
Einer der ersten Psychiater, der den Begriff der Hochsensibilität aufgriff war Ernst Kretschmer, in seinem Buch „Der sensitive Charakter„, welches im Jahre 1918 erschien, also lange bevor Elaine Aron geboren wurde. Bekannt ist Kretschmer jedoch in erster Linie wegen seinen Forschungen rund um den sensitiven Beziehungswahn. Der Sensitive Beziehungswahn zählte früher zu den Psychopathien, mittlerweile gillt der Beziehungswahn lediglich als formelle Denkstörung, ohne das sensitiv im Übrigen.
Für Kretschmer galten sensible Menschen als beziehungsneurotisch. Sie zeigen auf der einen Seite eine außerordentliche Gemütsweichheit, Schwäche und zarte Verwundbarkeit, auf der anderen Seite jedoch einen gewissen selbstbewussten Ehrgeiz und Eigensinn. Hochsensible Menschen seien komplizierte, sehr intelligente, fein und tiefsinnig empfindende Altruisten mit überzarter, verinnerlichtem Gemütsleben. Ihre Selbstbeobachtung und auch die Selbstkritik sei verfeinert. Das Schamgefühl gesteigert. Gleichzeitig seien sie aber auch sehr empfindlich und eigensinnig, fast schon rigide. Und dennoch waren sie liebevoll, vertrauenswürdig und gleichzeitig schüchtern in sich gekehrt. Teilweise ehrgeizig strebsam, bescheiden und von ausgesprochener sozialer Tüchtigkeit.
Persönlichkeitsstörung oder Persönlichkeitsmerkmal
Bislang wurde Hochsensibilität noch nicht als Krankheit definiert, auch wenn die neueren Beschreibungen aus dem eher in Richtung Störung denken lassen. Denn im lexikalischen Standardwerk der Psychiatrie im Jahre 2006 wurde die sensitive Persönlichkeit wie folgt definiert:
„Zartfühlende, leicht kränkbare, teils schamhafte, empfindsame, grüblerische, sittlich hochstehende Menschen, die sich mit vielen Skrupeln quälen, und ein schwaches Selbstwertgefühl besitzen“.
In der ICD-10 gibt es unter F.60.7, die asthentische Persönlichkeitsstörung, auch bekannt als Dependente bzw. Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung. Wenn man sich das Beschwerdebild der sensitiven Persönlichkeitsstruktur anschaut, wie sie von der Psychiatrie früher beschrieben wurde, und dann auf die Merkmale der Dependenten Persönlichkeitsstörung, dann kann man deutliche Überscheidungen erkennen.
Beschwerdebild der sensitiven Persönlichkeitsstruktur
- Diese Menschen sind äußerst empfindsam und weich, auch feinfühlend und gefühlvoll. Sie sind beeindruckbar und verletzlich, vom Urteil anderer in hohem Maße abhängig. Dabei wenig selbstbewusst, eher unsicher, gehemmt und ängstlich. Aber auch bescheiden und zurückhaltend.
- Sie können sich schlecht wehren, sind daher nachgiebig, wollen dadurch andere nicht kränken, können anderen aber eben auch nichts abschlagen, nicht Nein sagen. Sie lassen sich eher ausnutzen.
- Sensitive Menschen sind verschlossen, können sich nicht aussprechen, schlucken Kummer oder Ärger hinunter und tragen dabei schwer daran. Auch wird nichts vergessen, sondern alles Quälende bleibt bewusst, wird nicht abreagiert. Es wurmt innerlich.
- Auffallend ist auch, dass sie ausgesprochen fleißig und ehrgeizig sind, dabei gewissenhaft und ordentlich. Das Gewissen ist überhaupt stark ausgeprägt. Sensitive neigen zu Schuldgefühlen, auch im Hinblick auf andere Menschen: Ungerechtigkeit regt sie auf, selbst wenn sie selber nicht betroffen sind.
Die (sensitive) selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
Die selbstunsichere Persönlichkeitsstörung, auch als „Dependent Personality Disorder“ (Dependent-Persönlichkeitsstörung) bezeichnet, ist eine anerkannte psychische Störung, die in den diagnostischen Klassifikationssystemen, wie dem „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) und der „International Classification of“. Krankheiten“ (ICD), beschrieben ist. Sie gehört zur Gruppe der Persönlichkeitsstörungen und ist durch bestimmte charakteristische Merkmale gekennzeichnet.
Hier sind einige der Hauptmerkmale der selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung:
- Übermäßige Abhängigkeit: Menschen mit dieser Störung haben oft ein übermäßiges Bedürfnis nach Zuwendung und Unterstützung durch andere Personen. Sie fühlen sich unsicher und hilflos, wenn Sie Entscheidungen alleine treffen müssen, und suchen ständig nach Rat und Bestätigung von anderen.
- Angst vor Trennung: Betroffene haben eine ausgeprägte Angst vor Ablehnung und dem Verlassenwerden. Sie sind oft sehr darauf bedacht, andere nicht zu verärgern oder zu enttäuschen, aus Angst, die Beziehung zu verlieren.
- Mangelnde Selbstständigkeit: Menschen mit dieser Störung haben oft Schwierigkeiten, selbstständige Entscheidungen zu treffen oder Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Sie sind stark von anderen abhängig, um ihre alltäglichen Bedürfnisse zu erfüllen.
- Unterwürfiges Verhalten: Sie neigen dazu, sich unterzuordnen und den Wünschen und Anforderungen anderer Bedingungen nachzukommen, selbst wenn dies ihren eigenen Bedürfnissen oder Überzeugungen widerspricht.
- Mangelndes Selbstvertrauen: Selbstunsichere Persönlichkeitsstörungen gehen oft mit einem starken Mangel an Selbstvertrauen und einem negativen Selbstbild einher.
Hochsensibilität und Narzissmus
Wie dem auch sei, ein klarer Beweis dafür, dass Hochsensibilität eine Krankheit ist, wurde bislang nicht erbracht, auch wenn es vielleicht ein paar Paralellen gibt zu Krankheitsbildern, wie jetzt der depedenten Persönlichkeits-störung. Diese wurde ja auch häufig als das Pendant zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung benannt.
Insbesondere in der Narzissmusaufklärungsszene wurde oft über die Abhängige bzw. selbstunsichere Persönlichkeitsstörung im Zusammenhang mit Co- Abhängigkeit oder Co- Narzissmus gesprochen. Und wenn man sich die Symptombeschreibungen anschaut, erkennt man schon Parallelen. Nichts desto trotz sind beides unterschiedliche Krankheitsbilder, laut ICD-10.
Und so ist es auch bei Hochsensibilität in Kombination mit Narzissmus. Hochsensibilität ist nachweislich ein Persönlichkeitsmerkmal, bzw. eine Persönlichkeitsstruktur, während es sich bei der narzisstischen Persönlich-keitsstörung um eine Traumafolgestörung handelt, wohlgemerkt heißt es narzisstische Persönlichkeitsstörung. Der Narzissmus ansich ist keine Krankheit, sondern ebenfalls nur ein Persönlichkeitsmerkmal, genauso wie Co- Abhängigkeit nur ein Merkmal ist.
So gesehen darf festgestellt werden, dass auch hochsensible Menschen nicht davon gefeit sind, narzisstische Züge zu entwickeln, wie es Teile der Hochsensibilitätsszene ausschließt, was ja so gesehen bereits narzisstisch ist – andere zu beschuldigen etwas zu sein, was man selbst nicht sein kann, da man ja aufgrund der eigenen Hochsensibilität so empathisch ist, dass dieser Umstand eigene narzisstische Züge ausschließt.
Mein Leben mit Hochsensibilität
Über den Begriff der Hochsensibilität bin ich schon früh gestoßen, noch früher, als ich mich mit dem Narzissmusthema auseinander gesetzt habe. Notgedrungen musste ich dies tun, nachdem eine Psychologin mal zu mir meinte, dass eventuell meine Mutter das Problem sein könnte, und nicht ich. Da habe ich dann mit den Erklärungen zum Narzissmusthema mein Zuhause gefunden.
Nichts desto trotz habe ich aufgrund meines Andersseins, was sich schon früh in meiner Kindheit zeigte, immer nach einer Antwort gesucht. Als ich dann den Test für Hochsensibilität machte, und fast 75% erreicht hatte, wurde mir einiges klar. Meine bis dahin entwickelten Abwehrmechanismen, erklärte ich mir dann mit meiner narzisstischen Mutter.
Denn irgendwie muss man sich ja zur Wehr setzen, gegen die Dominanz und Kontrolle der Frau, von der man dies nun nicht erwartet. Dummerweise projizierte ich dann später bestimmte Erfahrungen und auch Gefühle, die ich in Bezug auf meine Mutter hatte, auch auf andere Frauen. Auch dies entschuldigte ich mit meiner narzisstischen Mutter.
Narzissmus als Überlebensstrategie
Aber so einfach ist das nicht, wie ich herausfand. Auf meiner ganz persönlichen Heilreise, habe ich nämlich erkannt, dass es mir nichts nützt, ewig in der Vergangenheit rumzustochern. Jeder ist halt so wie er ist. Und Meine Mutter hat sich ganz bestimmt nicht ausgesucht narzisstisch zu sein. Aus ihrer Sicht hat sie alles richtig gemacht. Und schließlich hatte auch meine Mutter vermutlich eine narzisstische Mutter. Und um zu überleben entwickelt man eben narzisstische Züge. Narzisstisches Verhalten ist also ein Muster zur Abwehr von Schmerzen und Todesängsten.
Narzisstische Züge allein sind wie Hochsensibilität perse jedoch nachweislich keine Krankheit, sondern allenfalls eine Charakterschwäche, wenn überhaupt. Und beides kann auch eine Folge von Trauma sein. Den gemeinsamen Nenner finden beide Persönlichkeitsstrukturen im Übrigen im niedrigen Selbstwert und den ausgeprägten Schamgefühlen. Shit. Man kann also tatsächlich beides sein. Hochsensibel und narzisstisch.
Das Schamgefühl verhindert die Selbstliebe
Man ging bislang immer davon aus, dass die narzisstische Persönlichkeitsstörung eine Störung der Selbstliebe war. Der Narzisst sei selbstverliebt, aber zu echter Liebe nicht im Stande. Ich glaube jedoch mittlerweile, dass Narzissten nicht vorranging an mangelnder Selbstliebe leiden, sondern an ausgeprägten Schamgefühlen, welche sowohl die Selbstliebe verhindert, als auch das Selbstwertgefühl mindert.
Wenn das, was ich vermute, stimmt, dass ein unerträglich großes Schamgefühl die eigentliche Ursache des Narzissmus ist, verwundert es nicht weiter, dass es überdurchschnittlich viele Hochsensible gibt, die ebenfalls narzisstische Züge haben. Man sagt ja über hochsensible Menschen, dass diese alle Gefühle intensiver wahrnehmen, und teilweise nicht unterscheiden zwischen den eigenen Gefühlen und denen anderer. Ein großes Schamgefühl wird so noch schneller unerträglich und treibt einen in die Narzissmus-Falle.
Warum führen Narzissten mit Hochsensiblen eine Beziehung oder umgekehrt?
Diese Antwort bin ich euch noch schuldig. Und es gibt dafür eine Erklärung, welche euch vielleicht nicht gefallen wird. Ich bin mir sogar sicher, dass ganz viele Hochsensible wahrscheinlich jetzt sagen werden: NEIN SO BIN ICH NICHT! Jedoch ist es in der Tat so, dass hochsensible Menschen, wie ich es oben bereits beschrieben habe, sehr nah dran an der dependenten Persönlichkeitsstörung. Und in dem Fall hat die Aufklärungsszene auch recht. Dependente Persönlichkeitsmerkmale, ähneln denen, die dem verdeckten Narzissmus zugeschrieben werden.
Die Psychologin und Autorin Bärbel Wardetzki hat die die Merkmale eines verdeckten Narzissten so
zusammengefasst:
• ist in der Minderwertigkeit, Depression und Hilflosigkeit verwurzelt
• macht sich klein und ist daher anfällig für Schuldgefühle
• Anerkennung durch Anpassung bis zur Selbstaufgabe (Überschreitet dadurch auch oft die Grenzen anderer, da die eigenen Grenzen ebenso verschwimmen)
• Kompensation der Schwäche durch Überanpassung, Attraktivität, Leistung
• Beziehungsannehmer (anklammernd)
• depressive Stimmung, negativer „Gefühls-Sumpf“
• Suche und Entlehnung eines idealisierten Selbst beim Partner und seinen Erfolgen
• Aufgehen im Anderen
• empathisches Mitfühlen bis zur Übernahme fremder Gefühle
• großes Harmonie- und Kompromissbedürfnis
• sucht Elternfigur und Halt im Partner, bemuttert den Partner (kann mitunter auch einen Kontrollzwang entwickeln)
• Abwehr der Kränkung durch Harmonisierung und Anpassung
• Opferposition (Definiert die eigene Person und den Selbstwert über die Opferrolle)
Hochsensible Menschen haben oftmals mehr Verständnis als der Narzisst
Menschen mit einer hochsensiblen Veranlagung, mit ZUVIEL Verständnis und einem Hang zur
Selbstaufgabe geben dem Narzissten die benötigte Bewunderung. Ein offener Narzisst dagegen beschimpft und entwertet während eines Konflikts seinen Partner. Das heißt ein Narzisst schützt sich selbst und zwar massiv gegen Eingriffe in seine Autonomie.
Der hochsensible Mensch lässt es sich aufgrund der großen konfliktscheu und der mangelnden Fähigkeit zur Abgrenzung „gefallen“. Gleichzeitig gefällt der Hochsensible Mensch sich aber auch in seiner Opferrolle, weil dadurch ein vertrautes Muster bedient wird, was Teil seiner Identität wurde. Die Opferhaltung ist quasi der Überlebensmechanismus des verdeckten Narzissten und vieler spirituellen Egos.
Hochsensibilität und Narzissmus: Eine unmögliche Verbindung?
Als Partnerin mit einem ausgeprägten Narzissten in einer Beziehung zu sein, ist eine ständige Herausforderung. Falls es eine Chance für die Beziehung geben soll, ist das nur möglich, wenn du lernst, dich immer besser abzugrenzen, und dich nicht auf die Schuldvorwürfe des Narzissten einzulassen. Gleichzeitig solltest auch du an deinen narzisstischen Zügen arbeiten.
Krankhafte Narzissten gelten in der Regel (Es gibt auch Ausnahmen) als äußerst uneinsichtig und therapieresistent. Ein ausgeprägter Narzisst wird solange wie irgend möglich sein Masken- und Kontrollspiel beibehalten um nicht in eine Depression zu stürzen, was er tun würde, wenn er sich zu sich selbst bekennen würde. Denn hinter seiner Maske ist NICHTS, außer einer tiefen Urwunde.
Und jemand der Hochsensible ist und gleichzeitig auch noch narzisstische Züge aufweist, wird sich solange nicht abgrenzen, bis er zum Narzissten vorgedrungen ist und endlich Bestätigung bekommen hat. Denn danach sehen sich beide Seiten. Da hilft dem Hochsensiblen seine angeblich so große Empathie rein gar nichts. Denn dann würde er erkennen, dass es sinnlos ist. Jemand mit Empathie erkennt das. Jemand der sich für empathisch hält, beißt sich an einem Narzissten die Zähne aus.
© Daniel Brodersen